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22 Meine Geschichte Ein Notfall wird nie zum Normalfall. Und doch hat die Familie von Luis Grassi gelernt, trotz seiner epilep- tischen Anfälle normal zu leben. Seine Mutter erzählt. «Angefangenhat alles vor etwa zehn Jahren. Luis war noch ein Säugling, als er seine ersten Fieber- krämpfe bekam. Mit sechs Monaten lautete die Diagnose: Dravet-Syndrom. Die genetische Mu- tation entsteht bereits zu Beginn der Schwanger- schaft, bei der Befruchtung der Eizelle. Die Krankheit geht mit epileptischen Anfällen ein- her. Seither begleiten die Anfälle unsere Familie. Ausgelöst werden sie meist durch Infektionen oder starke Temperaturunterschiede, ganz vor- hersehen lassen sie sich aber nicht. Einige Krämpfe dauern ganz kurz, andere länger, manchmal folgen auch mehrere Krämpfe auf- einander. In den ersten drei Jahren waren wir manchmal alle paar Wochen im Kinderspital. Der schlimmste Krampf dauerte ganze 25Minu- ten, danach lag Luis auf der Intensivstation. Wenn es passiert, funktionieren wir wie in Trance und folgen einem strengen Szenario: Man hat das Handy immer bereit undmisst, wie lange der Krampf dauert. Eine Person ruft den Notarzt an und schildert die Situation – die an- dere schützt Luis, damit er sich nicht verletzt, und verabreicht ihm seinMedikament. EinNot- fall-Set hat er immer bei sich. Gewöhnen wer- den wir uns an diese Situationen nie, obwohl wir mittlerweile ganz genau wissen, wie wir reagieren müssen. Luis bekommt von den An- fällen zum Glück nicht viel mit und hat darum auch keine Angst davor. Trotz seiner Diagnose versuchten wir immer, Luis den Weg zu ebnen für ein möglichst normales Leben. Bis auf wenige Ausnahmen kann er heute alles tun, was ihm gefällt – nicht zuletzt dank der richtigen Medikamente. Luis hat sich zu einem glückli- chen, gesunden Jungen entwickelt. Er besucht die normale Schule, treibt gerne Sport und trifft Freunde. Das alles geht nur mit einer guten Or- ganisation. Für Turnen, Mittagshort, Schwimm- unterricht und Ausflüge müssen wir Begleit- personen aufbieten. Bei Badi-Besuchen oder in anderen heiklen Situationen muss ihn jemand von uns stets im Auge behalten. In letzter Zeit war es zum Glück sehr ruhig: Der letzte Anfall liegt schon eineinhalb Jahre zurück. Da Luis kei- nem typischen Dravet-Verlauf folgt, wurde die Diagnose vor Kurzem angepasst und lautet heu- te auf GEFS+-Mutation. Das ändert aber nichts daran, dass er mit den Anfällen leben muss. Mit Zuversicht in die Zukunft Ganz alleine lassen wir Luis nur selten. Mittler- weile ist er aber in einem Alter, in dem er ver- mehrt Verantwortung übernehmen und Wege finden muss, selbstständiger zu leben. Vielleicht werden moderne Technologien wie Smart- watches oder ein Assistenzhund ihm in Zukunft das Lebenerleichtern.Wie schondie letztenzehn Jahre werden wir vieles davon ausprobieren müssen. Mittlerweile sind wir uns aber sicher, dass wir auch das gemeinsamhinkriegen.» Luis Grassi (bald 11) und seine Mutter Isabel (46) wohnen mit der ganzen Familie in Zürich Wipkingen. Er liebt Schwimmen, Fussball, Gamen – und seine kleine Schwester Ylvi (3). «Wenn es passiert, funktionieren wir wie in Trance.»

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